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Altäre der Moderne

Religion in pluralistischen Gesellschaften

Pauli, Ruth
Erschienen am 08.10.2015
39,95 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593503424
Sprache: Deutsch
Umfang: 200
Format (T/L/B): 1.0 x 21.0 x 13.0 cm

Beschreibung

Religionen und religiöse Gemeinschaften weisen gegenwärtig Tendenzen sowohl zu mehr Liberalismus als auch zu mehr Fundamentalismus auf. Das religiöse Feld ist vielschichtiger geworden – und konfliktreicher. So führt Modernisierung nicht zwangsläufig zum Rückgang der Religionen, sondern zur Pluralisierung von Weltsichten und Wertsystemen. Dennoch ist die Säkularisierungsthese nicht einfach überholt. Richtig ist vielmehr die Einsicht, dass ein einflussreicher säkularer Diskurs dem religiösen Diskurs an die Seite getreten ist – dies lässt sich beispielsweise in Krankenhäusern studieren. Daher ist es erforderlich, zwischen einem innerreligiösen Pluralismus und dem Pluralismus von religiösen und säkularen Diskursen zu unterscheiden. Das Buch Bergers beansprucht, ein neues Paradigma zur Erfassung und Analyse dieses aktuellen Pluralismus zu entwickeln.

Autorenportrait

Peter L. Berger (1929–2017) war einer der renommiertesten Religionssoziologen weltweit. Er hatte Professuren u.a. an der New School for Social Research New York, an der Rutgers University sowie am Boston College und zuletzt an der Boston University.

Rezension

Theorie des religiösen Pluralismus

»Wie kaum ein anderer hat Peter L. Berger die religionssoziologische Diskussion der vergangenen Jahrzehnte begleitet und geprägt. […] Seinem von Erfahrungen und Einsichten gesättigten und die großen Fragen der Religionssoziologie beherzt aufgreifenden Buch wünscht man […] viele Leserinnen und Leser.« Matthias Koenig, Soziologische Revue, 25.07.2017

Leseprobe

Vorwort Die Säkularisierungstheorie, die auf dem Gedanken basiert, dass Modernität unweigerlich zu einem Niedergang von Religion führt, hat lange Zeit als Paradigma für die Untersuchung von Religion gedient. Sie kann aber aufgrund empirischer Befunde nicht länger aufrechterhalten werden. Es braucht ein neues Paradigma. Ich denke, dieses muss auf den vielen Implikationen des Phänomens Pluralismus aufbauen. Meiner Meinung nach sollte ein neues Paradigma auf zwei Pluralismen eingehen können - auf die Koexistenz unterschiedlicher Religionen und auf die Koexistenz eines säkularen und eines religiösen Diskurses. Diese Koexistenz gibt es sowohl im Denken des Individuums als auch im sozialen Raum. Dieses Buch soll ein Schritt in Richtung eines neuen Paradigmas für das Verständnis von Religion und Moderne sein. Gerade weil ich mittlerweile ein Furcht einflößendes Alter erreicht habe (hauptsächlich versetzt es natürlich mich selbst in Furcht und Schrecken), hat es mich gefreut festzustellen, dass ich in den letzten zwei Jahren einige vollkommen neue Ideen ausgerechnet zu jenem Thema gehabt habe, das mich schon meine ganze Laufbahn als Soziologe hindurch beschäftigt hat - zum Thema des Verhältnisses von Religion und Moderne nämlich. Vielleicht sind diese Ideen falsch, aber allein die Tatsache, dass sie neu sind, ist befriedigend - offensichtlich ist die "Sabberphase" meiner intellektuellen Biografie - noch - nicht angebrochen. In der frühen Phase meiner Arbeit als Religionssoziologe habe ich die Gültigkeit dessen vorausgesetzt, was damals Säkularisierungstheorie genannt wurde. Ihre Grundidee war ziemlich einfach: Die Moderne führt notwendigerweise zu einem Niedergang der Religion. Ich war nicht der Einzige, der so dachte. In der einen oder anderen Formulierung wurde die Theorie von allen angenommen, die sich mit Religion in der modernen Welt auseinandersetzten - von den Kindern der Aufklärung, die das vermeintliche Faktum des Niedergangs der Religion begrüßten (übrigens gab es sogar ein paar Theologen, die es schafften, so zu denken), ebenso wie von all jenen (inklusive mir selbst), die das bedauerten, aber dachten, dass man den grausamen Fakten unbedingt ins Auge blicken müsse. (Ich denke, dass es das Selbstwertgefühl eines Gelehrten ungeheuer hebt, wenn er sich in der Vorstellung sonnt, dass er den Fakten ins Auge blickt, so grausam sie auch sein mögen.) In der Tat gab es Fakten, die die Idee der Säkularisierung zu unterstützen schienen, aber im Rückblick muss ich sagen: Wir haben diese Fakten missinterpretiert. Unser Hauptfehler war, Pluralismus als einen von mehreren Faktoren misszuverstehen, die Säkularisierung fördern; tatsächlich aber ist Pluralismus, also die Koexistenz verschiedener Weltanschauungen und Wertsysteme in ein- und derselben Gesellschaft, die große Veränderung, die die Moderne für die Stellung der Religion sowohl im Bewusstsein des Individuums als auch in der institutionellen Ordnung herbeigeführt hat. Man kann dies mit Säkularisierung in Zusammenhang bringen oder auch nicht - in jedem Fall aber ist der Pluralismus unabhängig von ihr. Allerdings stellt er für den religiösen Glauben eine Herausforderung dar, wenn auch eine andere Herausforderung als die Säkularisierung. Wie mein Lehrer Carl Mayer zu sagen pflegte: "Hier muss man sehr scharf unterscheiden!" Ich habe 25 Jahre gebraucht, um herauszufinden, dass sich die Säkularisierungstheorie als empirisch unhaltbar erwiesen hat. Meine Sinnesänderung habe ich lautstark im Vorwort zu einem Buch verkündet, das ich 1999 herausgegeben habe - The Desecularization of the World. Es ist mir wichtig zu unterstreichen, dass mein Sinneswandel in keiner Weise die Folge einer philosophischen oder theologischen Bekehrung war. Meine religiöse Einstellung, die ich immer als "unheilbar lutherisch" bezeichnet habe, hat sich seit meiner Jugend nicht verändert. Was geschehen ist, war viel weniger dramatisch: Es wurde mir immer klarer, dass die empirischen Daten der Theorie widersprachen. Abgesehen von einigen Ausnahmen - das sind vor allem Europa und eine internationale Intelligenzija - ist unsere Welt alles andere als säkular; sie ist genauso religiös, wie sie immer war, mancherorts sogar noch stärker. (Die genannten Ausnahmen bedürfen einer Erklärung, die ich immer wieder zu geben versucht habe. Mehr dazu findet sich in meinem gemeinsam mit Grace Davie und Effie Fokas verfassten Buch Religious America, Secular Europe? 2008.) Ich war übrigens nicht der Einzige, der seine Sicht geändert hat. Fast jedem, der moderne Religion untersucht hat, ist es so ergangen. Es ist nur eine kleine Gruppe von Gelehrten übrig geblieben, die immer noch die Säkularisierungstheorie verteidigt. Natürlich widerspreche ich ihnen, aber ich bewundere sie auch irgendwie. Meine Sympathie gehört Menschen, die sich standhaft weigern, der Herde zu folgen. Anfang 2012 kam mir unversehens ein einfacher Gedanke. Wie immer in solchen Fällen, habe ich mich gewundert, warum ich nicht schon früher darauf gekommen war. Es war ziemlich offensichtlich, aber je mehr ich darüber nachdachte, umso größere Implikationen erwuchsen daraus. Der bekannte Soziologe José Casanova (Georgetown University) hat sich einer sehr hilfreichen Aufgabe gestellt, indem er die verschiedenen Aspekte des Konzepts der Säkularisierung - einige davon problematisch, andere nicht - genau unterschieden hat. Ein Aspekt, mit dem weder Casanova noch jemand anders ein Problem hatte, war das Konzept der Differenzierung: Im Laufe der Modernisierung sind aus unterschiedlichen Gründen manche gesellschaftliche Funktionen, die üblicherweise religiösen Institutionen übertragen waren, auf religiöse und (neue oder neu definierte) andere Institutionen aufgeteilt worden - Kirche und Staat, Religion und Ökonomie, Religion und Bildung etc. Gut und schön, aber als ein gebührend anerkannter Spezialist der Wissenssoziologie hätte ich mir eine diesem Ansatz zugrunde liegende Erkenntnis in Erinnerung rufen sollen: Wenn sich eine Institution in einer Gesellschaft bewähren soll, dann muss sie eine Entsprechung im Bewusstsein haben. Daraus folgt: Wenn in der Gesellschaft eine Differenzierung zwischen religiösen und anderen Institutionen erfolgt ist, muss diese Differenzierung sich auch im Bewusstsein von Individuen manifestieren. In diesem Zusammenhang stolperte ich über eine sehr interessante Phrase, die der niederländische Jurist Hugo Grotius im 17. Jahrhundert geprägt hat. Er schlug vor, dass die neue Disziplin des Völkerrechts nach dem Prinzip "etsi deus non daretur" - "als ob es Gott nicht gäbe" - entwickelt werden sollte. Anders gesagt war sein Vorschlag also, dass eine gesamte Institution von allen religiösen Annahmen getrennt werden und von einem strikt säkularen Diskurs dominiert sein sollte. Ist diese Idee einmal begriffen, dann erscheint eine Unzahl empirischer Daten plötzlich in neuem Licht. Die meisten - sogar glühend - religiösen Menschen agieren in wichtigen Bereichen ihres Lebens im Rahmen eines säkularen Diskurses. Um es anders zu formulieren: Für die meisten Gläubigen gibt es keine starre Dichotomie des "Entweder-oder" zwischen Glauben und Säkularem, sondern vielmehr eine fließende Konstruktion des "Sowohl-als-auch". Beim Entwickeln dieser Erkenntnis habe ich Alfred Schütz' Konzepte der "multiplen Wirklichkeiten" und der "Relevanzstrukturen" als sehr hilfreich empfunden. Denkt man entlang dieser Markierungen, erlangt man ein besseres Verständnis für wichtige Themen der modernen globalen Religion, etwa für den kometenhaften Aufstieg des Evangelikalismus (besonders in seiner Ausprägung der "Pfingstler") und seine positive Einstellung zur Modernisierung, für die eigenartige Überlappung des Bible Belt und des Sun Belt in den USA und für die intensiven Debatten in der muslimischen Welt, was die Beziehung des Islam zur Moderne betrifft. Blickt man aus dieser Perspektive auf die Welt, gibt es ein weiteres hilfreiches Konzept: Shmuel Eisenstadts Idee der "multiplen Modernen". Westli...

Inhalt

Inhalt Vorwort 7 Kapitel 1: Das Phänomen Pluralismus 15 Kapitel 2: Pluralismus und individueller Glaube 35 Kapitel 3: Pluralismus und religiöse Institutionen 57 Kapitel 4: Der säkulare Diskurs 79 Kapitel 5: Religion und multiple Modernitäten 101 Kapitel 6: Das politische Management von Pluralismus 117 Kommentare Moderne Altäre im Alltagsleben 139 (Kommentar von Nancy T. Ammerman) Auf dem Wege zu einem neuen religionssoziologischen Paradigma? 161 (Kommentar von Detlef Pollack) Agentgetriebene Säkularisierung und chinesische Experimente mit multiplen Modernitäten 177 (Kommentar von Fenggang Yang

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